Momentan schreitet die Digitalisierung global in einem noch nie da gewesenen Tempo voran. Selbst Bereiche, wie jener der niedergelassenen Mediziner, der in den vergangenen Jahren deutlich konservativer hinsichtlich Digitalisierung war, erfuhr in den vergangenen Monaten einen rapiden Wandel.

Doch was bedeutet eigentlich Digitalisierung und welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für niedergelassene Ärzte?

Digitalisierung in der Ordination Teaser Image

Digitalisierung und Telemedizin

Digitalisierung ist ein mediales Schlagwort. Jeder braucht Digitalisierung, jeder macht Digitalisierung. Doch was steckt eigentlich hinter dieser Floskel und ist das wirklich so neu?

Was ist Digitalisierung

Der Begriff Digitalisierung bedeutet im Kern nichts Anderes, als dass ein bereits bestehender Prozess mit elektronischer Unterstützung ausgeführt wird. Der Vorteil ergibt sich dabei meist aus schnelleren Prozessdurchlaufzeiten, da z.B. der Versand über den Postweg entfällt, weil die Kommunikation digital erfolgt und so unmittelbar an den Empfänger zugestellt wird.

In der Medizin wird Digitalisierung also ebenfalls bereits seit Jahrzehnten durchgeführt und gelebt und ist keine absolut neue Erscheinung der Jahre 2020 und 2021. Denken wir etwa an Arztsoftware, die beinahe überall die Dokumentation mithilfe einer manuellen Patientenkartei ersetzt hat. Auch die Abrechnung der erbrachten medizinischen Leistungen mit den Krankenkassen, die elektronisch über das e-Card System erfolgt, ist ein Beispiel für Digitalisierung im Alltag einer (Kassen-)Ordination.

Weder der Prozess, die medizinische Begleitung eines Patienten sorgfältig zu dokumentieren, noch die Verrechnung von Leistungspositionen mit den Krankenkassen wurden durch Digitalisierung neu erfunden. Digitalisierung hat hier lediglich die Durchführung bestehender Prozesse mithilfe elektronischer Werkzeuge ermöglicht und so die Durchlaufzeiten der Prozesse beschleunigt.

Digitalsierung als Wegbereiter für Telemedizin

Während der geforderten Kontaktbeschränkungen rückte neben dem Thema der Digitalisierung auch das Schlagwort Telemedizin verstärkt in den Fokus. Telemedizin bedeutet die Erbringung ärztlicher Leistungen ohne unmittelbar physischen Patientenkontakt.

Ein erfolgreiches Beispiel für eine solche telemedizinische Leistung ist die elektronische Krankschreibung, die während der letzten Monate seitens der Krankenkassen in Österreich ermöglicht wurde. Eine Krankmeldung eines Patienten kann durch den Arzt direkt elektronisch erfolgen, ohne dass ein physischer Patientenkontakt stattgefunden haben muss.

Telemedizin erfordert natürlich als Basis eine Digitalisierung der zugrunde liegenden Prozesse. Ist für eine Krankmeldung ein Formular in Papierform erforderlich, so kann Digitalisierung und Telemedizin wenig Zusatznutzen liefern. Wenn jedoch die Krankschreibung direkt in einem elektronischen System erfolgt, so wird der Prozess beschleunigt (und es ist kein unmittelbarer Patientenkontakt erforderlich).

Bei der Krankschreibung haben wir bereits eine mehrstufige Digitalisierung gesehen. Zuerst wurde die Erfassung der Krankmeldung von einem Papierformular in das elektronische, digitale System migriert. Nun kann eine Krankschreibung telemedizinisch durch eine Diagnose via Telefon erfolgen.

Vorteile und Nutzen von Telemedizin

Die Vorteile von Telemedizin können aus Patienten- und natürlich auch aus Arztsicht betrachtet werden. Beginnen wir mit den Vorteilen von Telemedizin für Patienten.

Wie Patienten von Telemedizin profitieren können

Der Einsatz von Telemedizin bietet Vorteile auf unterschiedlichen Ebenen. Insbesonders in jenen Bereichen, in denen hauptsächlich ein therapeutisches Gespräch erforderlich ist, kann Telemedzin voll punkten. Der Patient muss nicht zum Arzt kommen und der Behandlungszeitpunkt kann flexibel gewählt werden.

Patienten, deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, müssen so nicht für jeden Arztkontakt in die Ordination kommen. Im urbanen Bereich mit kurzen Wegen, guter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und einer hohen Arztdichte, mag sich dieser Vorteil nicht so stark auswirken, doch im ländlichen Bereich stellt sich die Situation anders dar. Im ruralen Gebiet sind Dichte und Frequenz im öffentlichen Nahverkehr in der Regel nicht besonders hoch. Gerade im ländlichen Gebiet fehlen zunehmend die Hausärzte und so ergibt sich für die verbleibenden Mediziner ein viel größeres geographisches Einzugsgebiet.

Die Dauer von Wartezeiten in der Ordination kann nicht immer optimal ausbalanciert werden. Aufgrund der individuellen Behandlung ergeben sich teils längere Wartezeiten für Patienten. Bei der Erbringung von telemedizinischen Leistungen können Termine und Zeitfenster für Patienten besser geplant und so die Wartezeit reduziert werden.

Auch Patienten mit Kindern können von Telemedizin profitieren, da der Nachwuchs nicht dazu gezwungen werden muss, ruhig im Wartezimmer die Zeit tot zu schlagen.

Durch Telemedizin kann das Leistungsangebot für Patienten ausgeweitet werden. Eine Muttermal-Analyse kann so etwa bereits im Vorfeld durch den Patienten selbst durchgeführt werden. Mithilfe von künstlicher Intelligenz analysiert ein Algorithmus im Hintergrund die Aufnahmen und kann entscheiden, ob es sich potentiell um einen bösartigen oder gutartigen Tumor handelt. Vergleiche dazu auch unseren Blogartikel Künstliche Intelligenz in der Medizin.

Per Videokonferenz kann dann zum Beispiel ein Facharzt das Analyseergebnis direkt mit dem Patienten und dessen Hausarzt diskutieren und gemeinsam wird ein Therapieplan ausgearbeitet.

Welchen Nutzen Ärzte aus der Telemedizin ziehen

Entgegen der langläufigen Meinung, Mediziner würden sich gegen technische Innovationen im Ordinationsalltag streuben, kommt die Donau-Universität Krems1 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der befragten Ärzte einen großen Vorteil in der Anwendung von Telemedizin im medizinischen Alltag sehen.

Telemedizin ermöglicht kürzere Wege zwischen Arzt und Patient. Formulare, die etwa für Behandlungen und Diagnostik erforderlich sind, können bereits vom Patienten vor dem Arztkontakt ausgefüllt und elektronisch übermittelt werden. Der behandelnde Arzt kann sich so schon vor der Konsultation mit der Vorgeschichte des Patienten vertraut machen.

Werden Daten vom Patienten auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt, so entfällt eine spätere Eingabe in die Arztsoftware. Die Prozesse in der Ordination können schlanker gestaltet werden und so bleibt für den Arzt mehr Zeit, die er mit dem Patienten verbringen kann.

Dem wesentlichen Wunsch von Medizinern nach eine Verbesserung der Work-Life-Balance kann mithilfe von Telemedizin entsprochen werden. Nicht zeitkritische Anfragen können flexibel, je nach individueller Situation der Ärzte, geplant und durchgeführt werden. So kann der Arzt die Ordination pünktlich verlassen, den Nachmittag mit der Familie verbringen und etwaige Konsile dann abends direkt von zu Hause aus erledigen.

Gefahren, Risiken und mögliche Fallstricke von Telemedizin

Natürlich gibt es auch hinsichtlich der Telemedizin Bedenken und Risiken aus unterschiedlichen Gebieten. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, werden wir doch manche der Bereiche beleuchten und wo möglich Ansätze zu deren Lösung bieten.

Unklarer rechtlicher Rahmen bei der Erbringung von Telemedizin?

Eine immer umfassendere Dokumentationspflicht für medizinische Leistungen bringt natürlich Mediziner und Ärzte ins Zweifeln, ob die geforderten rechtlichen Rahmenbedingungen auch bei dem Thema Telemedizin gegeben sind.

Der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Ärztegesetz lässt sicher viele Ärzte vor dem Einsatz von Telemedizin zurückschrecken. Doch ist dieser Einwand berechtigt?

Grundsätzlich kann aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz im Ärztegesetz kein Verbot von Telemedizin geschlossen werden. Es obliegt dem behandelnden Arzt zu entscheiden, ob es aus medizinisch-fachlicher Bewertung der Situation erforderlich ist, einen direkten Patientenkontakt zu haben oder ob eine Form von Telemedizin möglich ist.

Sollte sich nach dem Einsatz von Telemedizin jedoch herausstellen, dass durch unmittelbaren Patientenkontakt eine Fehldiagnose zu vermeiden gewesen wäre, so muss der Arzt natürlich seine fachliche Überlegung argumentieren.

Aus diesem Grund bedarf es jedoch einer juristischen Nachschärfung, um den Ärzten auch hier Rechtssicherheit gewährleisten zu können.

Datenschutz und Datensicherheit in der Telemedizin

Für Telemedizin und fortschreitende Digitalisierung in der Arztpraxis unumgänglich ist ein begleitendes Rahmenwerk, wie Datenschutz und Datensicherheit gewährt werden kann.

Eine medizinische Behandlung, das Gespräch zwischen Arzt und Patient muss auf der Basis gegenseitigen Vertrauens stattfinden. Nicht umsonst wurde die ärztliche Schweigepflicht gesetzlich verankert und medizinische Daten stellen besonders sensible persönliche Daten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dar.

Bei einem klassischen Arzt-Patienten Gespräch in der Ordination sind meist nur Patient und Arzt anwesend. Alle Inhalte des Gesprächs bleiben damit automatisch vertraulich.

Doch wie sieht das bei Einsatz von Telemedizin aus? Ist diese Vertaulichkeit bei einem diagnostisch-therapeutischen Gespräch über das Telefon sichergestellt? Wer kann aller auf den Videostream einer Telemedizin-Plattform zugreifen? Was passiert bei einem Datenleak - wenn also auch nur die Möglichkeit besteht, dass Unbefugte Zugang zu diesen Daten erhalten (haben)? Kann die Krankenkasse auf diese Gespräche / Videochats zugreifen und so vielleicht Prämien für Versicherte anpassen? Wie kann sichergestellt werden, dass Ärzte, die diese Instrumente der Telemedizin nicht einsetzen wollen, gegenüber anderen Kollegen nicht schlechter gestellt werden?

Schon allein dieser kurze Absatz, der sich noch beinahe beliebig erweitern lassen würde, zeigt, wie komplex die Thematik Datenschutz im Rahmen eines Telemedizin-Konzepts ist.

Und diese Fragen beziehen sich nur auf das tatsächliche Gespräch zwischen Arzt und Patient im Rahmen der Telemedizin.

Binden wir zusätzliche Möglichkeiten, wie etwa die automatische Erfassung von Gesundheitsdaten (zB über Fitness-Uhren) ein, so tun sich noch weitere Fragen auf, für die Antworten am Tisch liegen müssen.

Wir wollen hier keineswegs die Möglichkeiten, die Telemedizin bietet, schlecht reden. Wir möchten hervorstreichen, wo Telemedizin Vorteile bietet, aber auch auf mögliche Schattenseiten hinweisen.

Gerade bei hochsensiblen Daten ist es unumgänglich, dass der Schutz dieser Daten dauerhaft und glaubwürdig gesichert ist. Neue Services und Dienstleistungen stehen und fallen mit der Akzeptanz der Nutzer - in diesem Fall Patienten und Ärzte.

Individuelle Entscheidung zur Teilnahme

So muss auch gesichert sein, dass die Entscheidung, Telemedizin-Services einzusetzen, allein beim behandelnden Arzt liegt. Es dürfen von dieser Entscheidung auch keinerlei Einschränkungen für Arzt oder Patient abgeleitet werden. Ebenfalls müssen die Honorare für behandelnde Ärzte seitens der Krankversicherungen gleich hoch sein - egal auf welche Weise die medizinische Leistung erbracht wurde.

Erst dann können die Möglichkeiten, die uns Telemedizin bietet, ihr volles Potential ausschöpfen und dafür sorgen, dass auch in Zukunft jene hochqualitative Medizin möglich ist, die Ärzte auch heute leisten.

Literaturempfehlungen

Für all jene, die sich noch weiter in das Thema Telemedizin einarbeiten wollen, stellen wir hier einen kleinen Auszug empfehlenswerter Literatur zusammen:

Quellen

Dr. Bernhard J. Mayr, MBA

Autor: Dr. Mayr bringt seine langjährige Erfahrung aus der Softwareentwicklung und dem Vertrieb von Softwareprodukten ein.